Liebes Tagebuch,

unser geschätzter Kunde Herr G. ist Schachspieler.

Ich erzähle ihm, wie ich als Zeugwartin meines damals noch sehr jungen, schachspielenden Sohnes Anton viele schöne Turniere erleben durfte und eines Tages, der Rolle des unbedarften Stehrumchens überdrüssig, selbst zu den schwarz-weißen Figuren gegriffen habe.

„Und wo ist das Brett?“

Dieser galanten Aufforderung von Herrn G. zu einem kleinen Schach-Scharmützel komme ich natürlich gerne nach, vorher google ich noch schnell sein Chess-Profil: Erfahrener Turnierspieler mit durchaus beeindruckender Wertungszahl.

Das kann ja heiter werden. Wird es auch.

Ein ums andere Mal werde ich vom Brett geschoben, auch wenn Herr G., ganz Kavalier der alten Schule, mich die haarsträubendsten meiner Züge nach einer kurzen Belehrung wieder zurücknehmen lässt, oder mir in Erahnung eines Fehlgriffs prophylaktisch auf die Finger haut.

Gelegentlich beschleicht mich beim Betrachten meiner Stellung ein leises Triumphgefühl, da greift Herr G. ganz tief in seine Schachtrick-Kiste, fördert Spieß oder Gabel zutage und mein König kann sich wieder hinlegen.

Vielleicht hätte ich vor meinen Kollegen, den Herren Pattner und Jäger, mit meinem Familienturnier-Pokal (den hauptsächlich Anton besorgt hat) nicht so prahlen sollen, denn sie wirken ob meiner Performance schon etwas enttäuscht. Flugs starten die beiden hinterhältige Ablenkungsmanöver, indem sie unter irgendeinem Vorwand an den Ohren meines Kontrahenten herumrupfen.

Von dieser rührenden Darbietung gelebten Teamgeists lässt sich Herr G. allerdings weder aus der Ruhe noch zur Ausführung eines blöden Zuges bringen.

So spielen wir über die Zeit viele unterhaltsame Partien, die Herr G. stets mit klugen, lehrreichen und witzigen Bemerkungen garniert.

An eine Partie erinnere ich mich besonders gerne, ungleichfarbiges Läuferendspiel und ich war schwarz.

Tatsächlich konnte Herr G. dem Bauern auf h6 nicht widerstehen und dieses Mal – ein einziges Mal – habe ich gewonnen.